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01.10.2024

Auf Wunsch aktualisiert: INPUT-Talk - 5 Fragen an die Fachärztin Prof. Eva Reinhold-Keller zum Thema Rheuma

Hamburg (boß) Nach einer spektakulären Flucht im Jahr 1984 aus der ehemaligen DDR war die Fachärztin für Innere Medizin, Rheumatologie und Osteologie Dr. Eva Reinhold-Keller in Westdeutschland

an verschiedenen Kliniken tätig und ließ sich 2003 mit einer Internistisch-rheumatologischen Praxis in Hamburg nieder.  Außerdem hat sie seit 2014 eine Professur an der Universität zu Lübeck im Lehrgebiet Innere Medizin inne.

Die Fachärztin gab der Nachrichtenagentur INPUT-Medien ein aufschlussreiches Interview zum Thema Rheuma:

Frage 1) INPUT: Rheuma ist ja bekannter Weise ein sehr vielschichtiges Leiden. Wie kann man diese Krankheit für den Laien verständlich beschreiben?

Prof. Dr. Eva Reinhold-Keller:
Rheuma“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet „ziehend, reißend, strömend“ und das charakterisiert das Hauptsymptom, den Schmerz. Die Schmerzen können im gesamten Bewegungsapparat auftreten:  in Gelenken, Muskeln, Sehnen, Schleimbeuteln und der Wirbelsäule. Obwohl „Rheuma“ im Sprachgebrauch oft als Bezeichnung für eine Krankheit verwandt wird, ist es ein Sammelbegriff für mehr als 500 verschiedene Krankheiten.
Wir kennen zwei große Formen: entzündlich rheumatische Krankheiten, diese machen ca. 10-15% aus, und die große Gruppe der nicht-entzündlichen, in aller Regel Verschleißkrankheiten. Die frühe Unterscheidung ist von großer Bedeutung, da ganz unterschiedliche therapeutische Konsequenzen folgen mit unterschiedlicher Prognose. Von besonderer Bedeutung ist die frühe Erkennung einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung, denn hier droht unter Umständen die rasche irreversible Gelenkzerstörung. Eine frühe fachärztliche Behandlung kann diese verhindern bzw. verlangsamen. Besonders wichtig ist die frühe Diagnose auch deshalb, weil es bereits bei Beginn oder im Verlauf zur Beteiligung von inneren Organen wie Niere, Lunge oder Herz kommen und dies potenziell auch tödlich sein kann. Also, „Rheuma“ ist kein harmloses Zipperlein, sondern immer eine ernst zu nehmende Sache, UND, ganz wichtig, rheumatische Erkrankung sind kein „Altersleiden“, sondern können in jedem Alter auftreten. 

Frage 2) INPUT: Was sind die ersten Anzeichen, die der Patient bei sich wahrnehmen kann?

Prof. Dr. Eva Reinhold-Keller: Bei allen rheumatischen Erkrankungen steht der Schmerz im Bewegungsapparat im Vordergrund. Wichtig ist die gründliche Befragung durch den Arzt, um den Schmerz genau zu charakterisieren. Für entzündlich-rheumatische Erkrankung ist typisch, dass sich das Schmerzmaximum in der zweiten Nachthälfte bzw. am frühen Morgen zeigt, eine sogenannte Morgensteife in den Gelenken, Muskeln oder Wirbelsäue besteht, die meist länger als eine Stunde dauert. Die Beschwerden bessern sich bei Bewegung. Hinzu kommen Schwellungen, insbesondere der kleinen Fingergelenke, aber prinzipiell können alle Gelenke betroffen sein, oft verbunden mit einem allgemeinen Krankheitsgefühl und Leistungsknick. Wegweisend sind dann oft Blutuntersuchungen. Von besonderer Bedeutung sind die Entzündungswerte - Blutbild, Blutsenkung und C-reaktives Protein. Für einige Erkrankungen kennen wir auch typische Auto-Antikörper, wie die Rheumafaktoren.  Moderne bildgebende Verfahren wie Ultraschall oder Kernspin (MRT) können bereits sehr früh Entzündungszeichen in den Gelenken nachweisen, aber auch das konventionelle Röntgen hat immer noch einen wichtigen Stellenwert in der Diagnostik.
Hauptvertreter der entzündlichen Rheuma-Erkrankungen ist die Rheumatoide Arthritis (RA), ca. 1% aller Erwachsenen leiden in Deutschland an einer RA. Überwiegend erkranken Frauen im mittleren Alter. Ein weiterer Vertreter dieser Erkrankungsgruppe ist die Spondyloarthritis, hier spielt sich der Entzündungsprozess vorrangig in der Wirbelsäule und den großen Gelenken der unteren Extremität ab. Diese Erkrankung betrifft deutlich mehr Männer als Frauen und der Erkrankungsbeginn ist meist zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr. Hauptsymptom ist der entzündliche Rückenschmerz, das heißt tiefsitzende Kreuzschmerzen in der zweiten Nachthälfte und morgens, der sich bei Bewegung bessert.
Die große Gruppe der nicht-entzündlichen Rheuma-Erkrankungen sind vorwiegend Verschleißerkrankungen an Gelenken und der Wirbelsäule. Hier sind die Schmerzen ohne besondere Tagesrhythmik und vorrangig belastungsabhängig. Bei einer kleinen Gruppe entzündlicher Rheuma-Erkrankungen – den Vaskulitiden und Kollagenosen - steht die Beteiligung innerer Organe im Vordergrund oder sind Blutgefäße entzündet. Hier haben die meisten Patienten zwar auch Gelenkbeschwerden, diese sind allerdings meist springend von Gelenk zu Gelenk, meist ohne sichtbare Schwellung und meist „Nebenschauplatz“.

Frage 3) INPUT: Welche Behandlungsmethoden stehen bei Rheuma heute in der modernen Medizin zur Verfügung?

Prof. Dr. Eva Reinhold-Keller: Bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen spielt Cortison eine wesentliche Rolle, das am schnellst wirkende antientzündliche Medikament, es wirkt innerhalb von Tagen oder sogar Stunden. Um bekannte Nebenwirkungen von Cortison so gering wie möglich zu halten (Infektanfälligkeit, Osteoporose, Gewichtszunahme, Diabetes etc.), beginnt man parallel mit einer sogenannten Basistherapie/DMARD (Disease Modifying Antirheumatic Drugs). Das sind Medikamente, die die Erkrankung grundlegend beeinflussen, indem sie die Entzündung dauerhaft zurückdrängen und Gelenkzerstörungen verhindern. Da sie in der Regel einige Wochen bis zum Einsetzen der Wirkung brauchen, ist überbrückend Cortison meist unverzichtbar. Hauptvertreter ist das seit Jahrzehnten erprobte Methotrexat. Mit besserem Wissen um die Krankheitsabläufe wurden in den letzten Jahren ganz neue Medikamente entwickelt – Biologika. Dies sind gentechnisch hergestellte Antikörper, die gezielt die Hauptentzündungszellen oder Botenstoffe (Zytokine) blockieren. Die Behandlung entzündlich-rheumatischer Erkrankungen sollte aufgrund der hoch-komplexen Krankheitsbilder und der sich rasant entwickelnden Therapien unbedingt in der Hand eines internistischen Rheumatologen liegen. Viele Untersuchungen haben gezeigt, dass Patienten in fach-rheumatologischer Behandlung einen besseren Langzeitverlauf haben hinsichtlich Krankheitsaktivität und Ausmaß an Gelenkzerstörungen. Ein unzureichend behandeltes Rheuma verkürzt die Lebenserwartung um bis zu 10 Jahren, Hauptgrund dafür ist die beschleunigte Entwicklung von Gefäßarteriosklerose mit den Folgen Herzinfarkt und Schlaganfall.

Frage 4) INPUT: Was kann der Rheumapatient selbst zur Vermeidung bzw. Linderung auf den Sektoren Ernährung, Bewegung, Lebensstil machen?

Prof. Dr. Eva Reinhold-Keller: Hochwirksame Medikamente, wie oben dargestellt, spielen bei entzündlichen Rheumaerkrankungen die Hauptrolle. Sie muss frühzeitig in der Hand eines Rheumatologen liegen, darauf sollten Patienten bestehen. Aber auch eine ausgewogene, „antientzündlich“/mediterrane Ernährung kann den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen, d.h. wenig Fleisch, vielleicht nur 2x pro Woche, dafür 2x pro Woche Fisch, Gemüse und Salate. Sparsamer „Einsatz“ von Brot, Nudeln und Kartoffeln. Regelmäßige Bewegung, z.B. 3x pro Woche 60 Minuten ist für Rheumatiker genauso wichtig wie für uns alle. Vom Rauchen weiß man, dass das Risiko für eine Rheumatoide Arthritis bei Rauchern deutlich erhöht ist und das Therapie-Ansprechen, gerade auf die neuen modernen Mittel schlechter ist. Noch etwas ist wichtig, eine sorgfältige Mundhygiene, d.h. mindestens 2x pro Jahr neben den üblichen Zahnarzt-Kontrollen eine professionelle Zahnreinigung durchzuführen und täglicher Einsatz von Zahnseide oder Interdentalbürsten. Bestimmte Bakterien, die sich in entzündetem Zahnfleisch ansiedeln, fördern die Entwicklung einer rheumatoiden Arthritis und verschlechtern den Verlauf.

Frage 5) INPUT: Was versteht man unter der medizinischen Zusatzbezeichnung „Osteologin", die Sie ja auch schon seit 2006 tragen?

Prof. Dr. Eva Reinhold-Keller: Osteologie beschäftigt sich im weitesten Sinne mit Knochenerkrankung. Dazu zählen eine Reihe von Stoffwechselerkrankungen, die den Knochenaufbau, die Stabilität und Struktur beeinflussen. Der Hauptvertreter ist hier die Osteoporose, die „Knochenausdünnung“ mit dem Risiko von Knochenbrüchen bei Minimaltraumen, z.B. von Wirbelkörpern, Oberschenkelhals und Unterarm. Ein erhöhtes Risiko für Osteoporose haben Frauen nach den Wechseljahren und Menschen mit einer längerfristigen Cortisontherapie. Um das Risiko früh zu erkennen und zu handeln, VOR der ersten Fraktur, steht mit der DXA-Osteodensitometrie eine Untersuchung zur Verfügung, die mit minimaler Röntgenbestrahlung die Knochendichte über den Risikobereichen Wirbelsäule und Oberschenkelhals misst. Bei reduzierter Knochendichte gibt es neben Calcium-reicher Ernährung (1.200mg pro Tag) und ausreichender Vitamin D-Zufuhr, wirksame Medikamente, die den Knochenabbau stoppen und das Risiko für Frakturen minimieren.

Das Interview führte Heinz-Günter Boßmann